Neues EuGH-Urteil zum FIFA-Transfersystem

Dr. Christoph Knapp

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat mit einem neuen Urteil das Transfersystem im Profifußball erneut in den Fokus gerückt. Der belgische Rechtsanwalt Jean-Louis Dupont, der bereits 1995 maßgeblich am sog. Bosman-Urteil beteiligt war, hat erneut eine richtungsweisende Entscheidung herbeigeführt, diesmal im Fall des ehemaligen französischen Nationalspielers Lass Diarra gegen die FIFA. Das Urteil betrifft die Regelungen der FIFA für den Wechsel von vertragsbrüchigen Spielern und stellt fest, dass diese gegen europäisches Recht verstoßen. Die vom EU-Recht gewährte Freizügigkeit der Spieler und der Wettbewerb zwischen den Vereinen werden laut EuGH durch diese Regeln in unzulässiger Weise eingeschränkt (Urteil vom 04.10.2024, Rs. C-650/22).

1. Der Fall Diarra

Der Fall des ehemaligen französischen Nationalspielers Lassana Diarra zeigt die Komplexität des FIFA-Transfersystems. Nach einer beeindruckenden Karriere bei Topvereinen wie Chelsea, Arsenal und Real Madrid unterschrieb Diarra 2013 einen Vierjahresvertrag bei Lokomotive Moskau. Aufgrund von Differenzen mit dem Trainer kündigte er jedoch nach nur einem Jahr. Der Verein betrachtete dies als unrechtmäßig und forderte eine Entschädigung von 20 Millionen Euro. Zusätzlich verhinderte Lokomotive Moskau die Ausstellung eines internationalen Freigabescheins, wodurch Diarra praktisch keine Möglichkeit hatte, bei einem anderen FIFA-Verein zu spielen.

Die FIFA-Regeln erlauben Spielern zwar eine einseitige Vertragsbeendigung, machen sie aber schadensersatzpflichtig. Diese Regelung gilt unabhängig vom nationalen Arbeitsrecht und bindet nahezu jeden Profifußballer. Ursprünglich sollte dies langwierige Kündigungsprozesse vermeiden. Allerdings führt die Regelung zu einer problematischen Situation: Nicht nur der Spieler, sondern auch ein potenzieller neuer Verein haftet für die Entschädigung. Letzterem drohen zudem sportliche Sanktionen wie ein Transferverbot.

Die Verweigerung des internationalen Freigabescheins durch den nationalen Verband des alten Klubs bis zur Streitbeilegung schafft eine De-facto-Situation, in der Spieler ohne Zustimmung ihres aktuellen Vereins keinen Arbeitgeberwechsel vornehmen können. Die Allgegenwärtigkeit des FIFA-Systems, dem praktisch alle relevanten Vereine und Verbände angehören, verstärkt diesen Effekt noch.

2. Kritik des EuGH an den FIFA-Regeln

Die Kritik des EuGH an den Regelungen der FIFA ist umfassend und scharf formuliert. Zentral steht die Pflicht, dass ein vertragsbrüchiger Spieler seinen ehemaligen Verein finanziell entschädigen muss. Diese Entschädigungsforderungen bewertet der EuGH als intransparent und unverhältnismäßig. Zudem wird die Art und Weise der Prüfung, ob eine Kündigung des Spielers aus einem triftigen Grund erfolgte, beanstandet: Die FIFA beachtet dabei kaum die Besonderheiten des nationalen Arbeitsrechts.

Auch die Sanktionen, die dem neuen Verein eines solchen Spielers drohen, stehen im Fokus der Kritik. Der EuGH bemängelt, dass die FIFA durch eine „Transfersperre“ für den neuen Verein eine Sanktion verhängt, die unverhältnismäßig sei und auf einer unzureichenden Beweislastumkehr basiere. Besonders problematisch sei, dass bereits der bloße Vorwurf einer grundlosen Kündigung dazu führen könne, dass der Spieler nicht für seinen neuen Klub spielberechtigt ist.

3. Verletzung der Arbeitnehmerfreizügigkeit und des Kartellrechts

Die Konsequenzen dieser Regularien sind weitreichend: Der EuGH sieht sowohl eine Verletzung der Arbeitnehmerfreizügigkeit als auch einen Verstoß gegen das europäische Kartellrecht. Insbesondere die Ausführungen zum Kartellrecht sind für die künftige Rechtsauslegung von Bedeutung. Bereits 2023 hatte der EuGH im Kontext der geplanten „Super League“ den Handlungsspielraum von Sportverbänden eingeschränkt und klargestellt, dass wettbewerbsbeschränkende Maßnahmen nur dann gerechtfertigt sind, wenn sie nicht gezielt den Wettbewerb beschränken, sondern allenfalls eine unbeabsichtigte Wirkung haben.

Im Fall Diarra erkennt der EuGH ebenfalls eine gezielte Wettbewerbsbeschränkung in den FIFA-Regularien. Hierzu führt der Gerichtshof aus, dass die Möglichkeit, miteinander in den Wettbewerb zu treten, indem man bereits ausgebildete Spieler verpflichtet, eine wesentliche Rolle im Bereich des professionellen Fußballs spielt und dass Bestimmungen, die diese Art des Wettbewerbs in allgemeiner Weise beschränken, indem sie die Verteilung der Arbeitnehmer auf die Arbeitgeber festschreiben sowie die Märkte abschotten, als verbotene Abwerbeverbote zwischen den Vereinen einzustufen sind.  Das bedeutet, dass Sportverbände wie die FIFA ihre Regelungen nicht unter Berufung auf sportpolitische Ziele rechtfertigen können, wenn diese faktisch den Wettbewerb ausschalten.

4. Konsequenzen

Trotz der umfassenden Kritik enthält das Urteil des EuGH auch eine Passage, die für die FIFA spricht: Der EuGH erkennt an, dass es legitim sei, wenn die Regelungen eine gewisse Stabilität in der Mannschaftszusammensetzung anstreben. Dies könnte als Grundlage für eine Reform dienen, die den Verbänden weiterhin einen gewissen Spielraum belässt.

Gleichzeitig deutet das Urteil an, dass die klassischen Mechanismen des Vertragsrechts, wie etwa der Anspruch auf Schadensersatz, ausreichen könnten, um die finanziellen Interessen der Vereine zu schützen. Das würde bedeuten, dass Ablösesummen in ihrer bisherigen Form möglicherweise an Bedeutung verlieren könnten. Spieler könnten sich durch die Zahlung eines Schadensersatzes oder einer Vertragsstrafe von ihren Verträgen lösen, wobei die Höhe dieser Zahlungen vom jeweiligen nationalen Zivil- und Arbeitsrecht abhängt.

5. Fazit

Das Urteil des EuGH setzt der aktuellen Praxis der FIFA beim Umgang mit vertragsbrüchigen Spielern deutliche Grenzen. Es fordert mehr Transparenz und Verhältnismäßigkeit sowie eine stärkere Beachtung des nationalen Arbeitsrechts. Gleichzeitig eröffnet es Raum für eine dringend notwendige Reform, die ein ausgewogenes System zur Regelung von Transfers schaffen sollte.

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